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Kommentar: Die digitale Medienrevolution
Das, was die HBL in Zusammenarbeit mit Sportfive gestern in Berlin vorgestellt hat, ist soetwas wie eine Medienrevolution. Nicht mehr die großen Fernsehsender bestimmen, was sie senden wollen, sondern der Zuschauer nimmt erstmals eine aktive Rolle ein und wird Partner seines Sports. Dass das etwas kostet, mag dem einen oder anderen im Geiz-ist-geil-Land mißfallen oder auch seinen finanziellen Rahmen sprengen, doch von oben betrachtet ist das Projekt "Sportdigital.tv" ein Schritt in die Unabhängigkeit zur ominösen Quotenmessung und dem eigenen Sofa und ermöglicht dem Fan, genau das zu sehen, was er möchte und wofür er bezahlt. Beim klassischen Fernsehen bezahlt man im Voraus ohne zu wissen was kommt (und meistens auch, ohne das Gezeigte sehen zu wollen). Doch birgt die neue digitale Handballwelt auch Gefahren.
Schon jetzt war der Spielplan der Handball-Bundesliga bis zur Unerträglichkeit zerfleddert. Spiele zu allen Zeiten an allen denkbaren Wochentagen waren die Regel. Dies wird mit sportdigital.tv nicht besser, ganz im Gegenteil. Lediglich der Montag wird ein Ruhetag sein, ansonsten wird es nahezu täglich irgendwo im Lande ein Bundesliga-Spiel geben. Zudem müssen sich die Fans an ganz neue Anwurfzeiten gewöhnen, die sich noch mehr als früher über den gesamten Zeitraum von 15:00 Uhr bis 20:30 Uhr erstrecken. Das macht die Planung für die vielen Dauerkartenbesitzer, die nicht gerade vor Ort wohnen, schwieriger. Und insbesondere Fans, die ihre Mannschaft auswärts unterstützen möchten, werden sich eine lange Reise unter der Woche mit später Anwurfzeit mehrfach überlegen und im Zweifel zuhause bleiben. Für die noch unterentwickelte Fankultur in den Handballhallen ist das keine gute Nachricht.
Aber nun können diese Fans am heimischen PC und ab der nächsten Saison auch vor dem Fernseher ihre Mannschaft live verfolgen. Ökonomisch und ökologisch betrachtet ist das die Ankunft im 21. Jahrhundert. Die Rückrunden-Dauerkarte von sportdigital.tv kostet 24,99 Euro, ein Spottpreis für 80 Spiele in Anbetracht der Kosten einer Dauerkarte für 17 Heimspiele. Zwar muss man auf die Live-Atmosphäre in der Halle und die Gespräche mit realen Menschen verzichten, aber man kommt in den Genuß von Spielen, die einem bisher verwehrt blieben. Wer schon immer mal die HSG Wetzlar intensiv betrachten wollte ohne den Weg nach Mittelhessen finden zu müssen, hat nun eine bequeme und kostengünstige Möglichkeit dazu. Mannschaften wie Kiel und Flensburg konnte man bisher fast wöchentlich im Fernsehen sehen, Klubs wie Düsseldorf oder Melsungen sah man nur in den Hallen.
Dass die Hallen aber wirklich künftig mehr leere Sitzplätze aufweisen als heute, dürfte kaum zutreffen. Es gibt keine ausgeprägte Fankultur, wo zu Tausenden an den Spieltagen in den Vereinsfarben gekleidete Menschen durchs Land ziehen, um das eigene Team auswärts zu unterstützen. Sicher, viele Fanklubs organisieren Busfahrten, ergattern das ohnehin knappe Auswärtskartenkontingent und nehmen die Mühen von langen Auswärtsfahrten aufsich, aber das sind im Handball eher Ausnahmeerscheinungen. Hier ist aber die HBL gefordert, Spiele, die eine weite Anreise der Auswärtsfans erfordern, so zu legen, dass sie eben nicht an einem Donnerstag um 20:30 Uhr stattfinden. Denn wenn diese kleine Flamme der wichtigen Fankultur durch die völlig uneinheitlichen Spieltagsplanungen gänzlich ausgepustet wird, fehlt ein wichtiges Stück Atmosphäre in den Hallen und Arenen. Fanproteste darf man in diesem Punkt nicht ignorieren.
Für die breite Masse der Sportinteressierten waren Liveübertragungen noch nie sonderlich interessant, da sie ohnehin für Außenstehende eher zufällig denn planbar und zuverlässig kamen. Außer dem festen DSF-Dienstag, der in dieser Saison allerdings schon öfter zum Mittwoch wurde und wird, konnte man nie genau wissen, wann welche Spiele wo live übertragen wurden, wenn man sich nicht aktiv darüber informiert hat. Gerade der Erfolg einer Internetseite wie handballimfernsehen.de hat dies bewiesen.
Doch sportdigital.tv will den Handball nicht exklusiv im Pay-TV-Bereich verschwinden lassen, das Gegenteil soll der Fall sein. Denn nun kann die HBL zusammen mit ihrem Vermarkter Sportfive den Sendern endlich Bildmaterial anbieten, dass diese zum Minutenpreis einkaufen und ausstrahlen können. Statt eigener, teuerer Produktion von Drei-Minuten-Beiträgen für die relevanten Sportsendungen können sich die Redaktionen nun aus einer Vielzahl von Spielen die für sie und ihre Zuschauer interessanten Spielzusammenfassungen aussuchen. Es ist definitiv zu erwarten, dass künftig in den Sportsendungen sehr viel mehr Handball-Kurzberichte auftauchen als derzeit. Für die Reichweite der Sportart ist ein Kurzbeitrag viel wichtiger als eine lange Live-Übertragung.
Und die wirklichen Hardcore-Fans, die soviel Handball wie nur möglich sehen wollen, ist mit 176 Live-Spielen pro Saison bei sportdigital.tv eine fast grenzenlose Auswahl möglich. Hinzu kommen noch 29 Spiele im DSF und bis zu 40 Spiele bei den öffentlich-rechtlichen Sendern. Nicht zu vergessen, das Versprechen von sportdigital.tv, ein großes Archiv aufzubauen, das die Abonennten jederzeit nutzen können sollen.
Ebenfalls positiv hervorzuheben ist nach den vielen Negativerfahrungen mit Pay-TV in Deutschland mit unkündbaren Langzeitverträgen die freie Wahlmöglichkeit. Man bezahlt nur für das, was man sehen möchte. Das Angebot von Sportfive und der HBL erscheint auf dem ersten und zweiten Blick fair und verpflichtet zu nichts. Man zahlt auf sein Guthabenkonto einen Betrag ein und ruft entsprechend die Inhalte ab. Keine versteckten Kosten, keine Abzocke. So lassen es die jetzigen - noch dürftigen - Informationen jedenfalls vermuten.
Entscheidend wird aber zunächst die Qualität der Bilder im Internet sein. Sportfive spricht von DVD-Qualität, sofern der Endbenutzer entsprechend ausgerüstet ist und eine dicke Datenleitung besitzt. Wer noch mit einem antiken Computer auf analogen Leitungen durchs Internet surft, dürfte wenig Freude an den Übertragungen haben. Auch die Aufbereitung der Bilder und der Kommentar sind wichtige Qualitätsfaktoren. Mit bis zu acht Kameras, darunter auch automatische in oder über den Toren, soll ein Spiel erfasst werden. Das verspricht interessante und hochwertige Bilder.
Dass Sportfive in Sachen WM-TV-Vermarktung in Deutschland schlicht versagt hat, ist allerdings ein sehr großer Wermutstropfen in diesen Vor-WM-Tagen. Von der letzten EM in der Schweiz wurde erheblich mehr live berichtet. Zwar gibt man wenigstens den Fans mit dem Internet-Fernsehen die Möglichkeit, alle 92 Spiele für wenig Geld zu sehen, doch die große Chance, die diese WM in Deutschland bot, wurde damit endgültig vertan. Außerhalb der Szene und der großen Handball-Regionen wird die WM nur eine bloße Randnotiz sein. Hier hat sich Sportfive als TV-Rechtevermarkter der IHF zu Lasten des Handballs in Deutschland verzockt.
Natürlich wollen Sportfive und die HBL Geld verdienen, das ist nichts Verwerfliches. Dass der Fan dieses Geld bezahlen soll, dürfte in Zeiten knapper Kassen und immer größerer Forderungen nicht für jeden mit einem Achselzucken quittiert werden. Wenn das Angebot von Sportfive und der HBL so bestehen bleibt und Topspiele weiterhin auch im frei empfangbaren Fernsehen zu sehen sein werden, dürfte trotz aller negativer Punkte der Fan - zumindest der mit breitbandigem Internetanschluss - der Gewinner diese Medienrevolution sein. Der Verlierer ist eindeutig das klassische Fernsehen, das weitere Zuschauer ins Internet verliert, die sich dort ihr eigenes Programm gestalten.
Olaf Nolden
http://www.handballimfernsehen.de/index.php?id=900stimmt

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